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Deutsche Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen


02.07.2024

Stellungnahme der DGÖG e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

Die Deutsche Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen e.V. begrüßt das erklärte Ziel, Öffentli-che Gesundheit in Deutschland auf Bundesebene institutionell zu verankern und damit nachhaltig zu stärken.
Die Stärkung und Weiterentwicklung von Gesundheitsförderung und Prävention nicht-über-tragbarer Erkrankungen auf Bundesebene wird dem vorherrschenden Krankheitspanorama gerecht und kann einen wesentlichen Beitrag leisten, die zu hohe vorzeitige Krankheitslast und Sterblichkeit in Deutschland zu senken.
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Stärkung der Öf-fentlichen Gesundheit greift viele wichtige Aspekte auf. Für die dringend notwendige koordinative Bündelung und nachhaltige Stärkung Öffentlicher Gesundheit in Deutschland bedarf es jedoch aus fachlicher Perspektive Anpassungen, Ergänzungen und v.a. Konkretisierungen.
Die vorgesehene insti-tutionelle Bündelung der bisher strukturell getrennten handlungsorientierten Datenanalyse und Maßnahmenplanung auf Bundesebene setzt voraus, dass das neue Bundesinstitut – wie im Koaliti-onsvertrag der Regierungsparteien vorgesehen und von Akteuren aus Wissenschaft und Praxis seit vielen Jahren gefordert – ein koordinierendes und moderierendes Mandat erhält.
Aufbauend auf den Lehren aus der Corona-Pandemie ist hierbei unbedingt die Stärkung ressortübergreifender Zusam-menarbeit (im Sinne von Health in All Policies) auf und zwischen allen Ebenen sicherzustellen.



(1) Öffentliche Gesundheit bedarf lebenswelt-orientierter Ansätze

Die Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit setzt in der Lebenswelt von Menschen an und umfasst weit mehr als verhaltenspräventive Maßnahmen und Vorsorge.
Die starke Akzentuierung des präventiv-medizinischen Ansatzes ist rückwärtsgewandt und steht im klaren Gegensatz zum aktu-ellen Forschungsstand zur Wirksamkeit von lebenswelt-orientierten Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung auf Bevölkerungsebene.
Dies betrifft sowohl den vorgesehenen Namen des Bundesinstitutes als auch dessen bisher starke Ausrichtung auf Veränderungen des (individuellen) Gesundheitsverhaltens.
Der vorgesehene Einsatz moderner und agiler Methoden, um gesundheitlich besonders verletzliche Gruppen durch passge-naue Gesundheitskommunikation zu erreichen ist richtig. Prävention und Gesundheitsförderung dür-fen jedoch keinesfalls auf kommunikative Ansätze begrenzt werden.
Ressortübergreifenden, verhält-nispräventiven Ansätzen im Sinne von Health in All Policies sowie der Reduktion sozialer wie gesund-heitlicher Ungleichheit muss daher eine höhere Priorität eingeräumt werden, als dies im aktuellen Entwurf der Fall ist.
Entsprechend bedarf ein modernes und zeitgemäßes Verständnis von Öffentlicher Gesundheit inter-, multi- und transdisziplinärer Ansätze auf Bevölkerungsebene, die die vielfältigen Lebensumstände in den Blick nehmen und gezielt Ungleichheiten adressieren.
V.a. auch die Trennung von Public Health Surveillance und Monitoring im Zuge der institutionellen Zuständigkeit für übertragbare und nicht-übertragbare Erkrankungen stellt dabei eine Herausforderung für die interdisziplinäre und ressortübergreifende Prioritätensetzung und Zusammenarbeit dar, die interin-stitutionell dringend adressiert werden muss.

Vorschlag zur Anpassung:

Die Deutsche Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen e.V. spricht sich explizit für eine Anpas-sung des Namens und eine Erweiterung des in §2 (2) dargelegten Aufgabenspektrums aus.
Konkret sollte der unter Punkt 6 aufgeführten „Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten, Stärkung der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung,
jeweils im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes“ die „Gestaltung struktureller Rahmenbedingungen und die Reduktion sozialer wie gesundheitlicher Un-gleichheiten auf Basis der Gesundheitsberichterstattung und der jeweils besten verfügbaren wissen-schaftlichen Erkenntnisse,
der Expertise relevanter Stakeholder und der Werte und Präferenzen der Bevölkerung“ vorangestellt werden.

(2) Öffentliche Gesundheit bedarf politikfeldübergreifender Ansätze auf allen Ebenen

Als integralem Bestandteil der Verwaltung kommt dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) bei der Identifikation gesundheitlicher Herausforderungen, der Entwicklung und partizipativen Aushand-lung geeigneter Maßnahmen sowie der Umsetzung und Evaluation (im Sinne des Public Health Action Cycles) eine Schlüsselrolle zu.
Insbesondere auf kommunaler Ebene koordiniert der ÖGD-Aktivitäten im Bereich der Öffentlichen Gesundheit, vernetzt relevante Stakeholder und beteiligt und informiert die Bevölkerung.
Entsprechend essentiell ist der ÖGD für die lokale Umsetzung des Health in All Poli-cies-Ansatzes im Bereich der politischen Steuerung (Whole-of-Governance Approach) und der Stär-kung des zivilgesellschaftlichen Engagements (Whole-of-Society Approach).

Vorschlag zur Erweiterung:

Die im Referentenentwurf vorgesehene „freiwillige Kooperation und Vernetzung mit Akteuren der Öffentlichen Gesundheit“ (§2 (1) Punkt 4) wird ohne Festlegung konkreter Instrumente (wie z.B. die Vorgabe verbindlicher Kooperationsstrukturen) nicht ausreichen, um den Öffentlichen Gesundheits-dienst in Deutschland nachhaltig zu stärken.
Die im Referentenentwurf festgelegte Begrenzung des Regelungsbereiches auf die Aufgaben des BMG und seiner Geschäftsbereichsbehörden stellt hierfür eine Herausforderung dar.
Es bedarf etablierter Instrumente, um partizipativ und transparent klare Strategien und Ziele zur Sicherstellung und Förderung der Öffentlichen Gesundheit gemeinsam mit VertreterInnen aus Wissenschaft, Politik und Praxis aller Ebenen zu konsentieren.

(3) Öffentliche Gesundheit bedarf evidenzinformierter Public-Health-Konferenzen auf Bundesebene

Auch auf Bundesebene sind Strukturen vonnöten, um analog zu den vielerorts auf kommunaler und Landesebene verankerten Gesundheitskonferenzen auf Basis der im Rahmen der Gesundheitsbe-richterstattung ermittelten Evidenz Zielprozesse zu gestalten.
Die Einrichtung einer Geschäftsstelle für Public-Health-Konferenzen mit ebendiesem Aufgabenspektrum für die Bundesebene am neuen Bundesinstitut wird daher ausdrücklich begrüßt.

Vorschlag zur Konkretisierung:

Die Aufgaben der Public-Health-Konferenzen bleiben im bisherigen Gesetzentwurf ausgesprochen vage und müssen daher dringend spezifiziert werden. Die Public-Health-Konferenzen müssen
1. als ein wesentlicher Adressat der Ergebnisse zur gesundheitlichen Lage der Gesundheitsberichter-stattung des Bundes sowie
2. als Ausgangspunkt für Zielprozesse und ressortübergreifende Vernetzungsprozesse im Sinne von Health in All Policies auf Bundesebene definiert sein.
Wesentlich wäre darüber hinaus die Datenbasierung der Arbeit der Public-Health-Konferenzen im Sinne einer engen Orientierung an gesundheitlichen Bedarfslagen und der besten verfügbaren wis-senschaftlichen Evidenz zu fixieren.

(4) Öffentliche Gesundheit bedarf evidenzbasierter Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen

Um den bestehenden wie zukünftigen Herausforderungen für die Gesundheit der Bevölkerung ge-recht zu werden, bedarf es eines resilienten, reaktiven und reagiblen Öffentlichen Gesundheitswe-sens.
Hierfür braucht es institutionelle Strukturen, die für Public Health relevante Entscheidungen auf Basis der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse, der Expertise relevanter Stakeholder und der Werte und Präferenzen der Bevölkerung ressortübergreifend ermöglichen.
Der ÖGD verfügt mit der Gesundheitsberichterstattung hierfür bereits über ein Instrument, das es weiter zu stärken gilt. Der Aufbau eines Public Health-Datenmanagements und passender Analysein-strumente inklusive des Aufbaus eines bundesweiten Gesundheitspanels ist diesbezüglich sehr zu be-grüßen.
Aufgrund seines direkten Zugangs zu Lebenswelten stellt jedoch v.a. auch der ÖGD auf kom-munaler Ebene eine zentrale Handlungs- und Entwicklungsebene für Maßnahmen zur Sicherstellung und Förderung der Gesundheit dar.
Entsprechend wichtig ist daher bei dem Aufbau eines Gesund-heitspanels die Sicherstellung der Relevanz der Daten sowie eines Datenzugangs insbesondere auch für die kommunale Ebene.
Zentral wird auch die nachhaltige Etablierung Öffentlicher Gesundheit als Forschungs- und Praxisfeld sein. Die im Zuge des ÖGD-Paktes erfolgte Förderung expliziter ÖGD-Forschung hat gezeigt, wie wichtig die Einbeziehung und aktive Befähigung der lokalen Gesundheitsbehörden und weiterer kommunaler Akteure der Öffentlichen Gesundheit für die fachlich-wissenschaftliche Weiterentwicklung und Stärkung des ÖGD ist.
Zur Sicherstellung der wissenschaftlich-fachlichen Qualität des ÖGD bedarf es entsprechend einer nachhaltigen Strukturförderung, die die Weiterentwicklung (z.B. durch die Förde-rung praxisrelevanter Forschung) und Qualitätssicherung (z.B. durch verbindliche Evaluationen oder durch die Entwicklung von Leitlinien und Standards) weiter voranbringt.

Vorschlag zur Konkretisierung:

Im Rahmen der Aufbereitung und Verfügbarmachung von Informationen zur gesundheitlichen Lage muss auch die kommunale Ebene der Gesundheitsberichterstattung durch entsprechende Zugänge gestärkt werden.
Die Einrichtung einer koordinierenden Stelle, die die Generierung von Evidenz und die Entwicklung der Qualitätssicherung koordiniert und unterstützt, ist wichtig und zu begrüßen. Die in §2 (1) Punkt 7 vorgesehene „wissenschaftliche Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene,
einschließlich Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien und Standards“ muss jedoch insbesondere auch regionale und lokale Expertise integrieren und wissenschaftliche Unabhängigkeit sicherstellen.
Zur Sicherstellung der wissenschaftlichen Qualität und zur Stärkung evidenzbasierter Arbeitsweisen und Prozesse im ÖGD bedarf es einer institutionalisierten Strukturförderung mit transparenten Vergabekriterien und vorgegebener Wirksamkeitskontrolle unter aktiver Beteiligung des ÖGD selbst.
Die Entwicklung von Leitlinien und Standards muss zudem unabhängig, transparent und partizipativ erfolgen.
Hierfür braucht es Mechanismen, die in einem neutralen und wissenschaftlich unabhängigen Prozess die Perspektiven aus Praxis, Politik und Wissenschaft zusammenführen und transparente und partizi-pative Konsensusprozesse sicherstellen.

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